Autor: Dipl.Ing.(FH) Stephan Eitler, MSc

Rückenschmerzen: Wird falsch therapiert?

Wahrscheinlich hat der französische Philosoph Blaise Pascal recht, der einst meinte: „Zu unserer Natur gehört die Bewegung; die vollkommene Ruhe ist der Tod.“ Wahrscheinlich deshalb, weil Pascal so ganz nebenbei der Begründer der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist. Und wahrscheinlich auch deshalb, weil immer mehr Studien darauf hinweisen, wie gesundheitsfördernd und schmerzlindernd Bewegung sein kann. Letzteres gilt demnach insbesondere für eine Vielzahl unspezifischer Schmerzen im unteren Rücken, an denen Schätzungen zufolge weltweit rund 540 Millionen Menschen leiden. Unspezifisch bedeutet: Es tut weh, es liegt aber kein konkreter Unfall oder eine eindeutig nachweisbare, gefährliche Verletzung als Ursache vor.

Bei einem großen Teil der Betroffenen könnte dieser Umstand (also ratlos machende Schmerzen) schnell wieder vergehen und vergessen werden – tut es aber nicht. Denn, wie die britische Fachzeitschrift „The Lancet“ im März 2018 in einer Artikelserie beleuchtete: Die Betroffenen werden sehr oft falsch behandelt. Konkret: entgegen der „Best-Practice-Guidelines“. Diese lauten knapp gesagt: Information einholen, Lebensstil anpassen, aktiv bleiben.

Die ausführliche Variante klingt so: „Millionen von Menschen auf der ganzen Welt erhalten die falsche Behandlung für Schmerzen am unteren Rücken“, schreibt Jan Hartvigsen von der dänischen Syddansk-Universität unumwunden. Seine Kollegin, Rachelle Buchbinder von der Monash-Universität in Australien, ergänzt: „In der Mehrheit der Fälle helfen einfache physiologische Therapien, die die Menschen aktiv halten und ihnen das Arbeiten ermöglichen.“ Aber: Statt sich die Lebenssituation des Betroffenen anzusehen und ihm zu einfachen, konsequenten Übungseinheiten zu raten, würden wider besseres Wissen „häufig aggressive Behandlungen mit dubiosen Erfolgsaussichten angepriesen und auch finanziell rückerstattet“, kritisiert sie und verweist auf eine Vielzahl zu schnell erfolgter Operationen und zu leichtfertig verschriebener Schmerzmittel.

Letzteres allen voran in den USA, wo etwa im Jahr 2009 rund 60 Prozent der Betroffenen in Notaufnahmen Opioide verschrieben bekamen, während nur der Hälfte der chronisch Rückenleidenden Bewegungsübungen verordnet wurden. In Südafrika erhielten an die 90 Prozent der Rückenkranken ausschließlich Schmerzmittel verordnet, während Studien aus Indien zeigen, dass die Betroffenen als erstes zur Bettruhe verdonnert werden.

Tatsächlich aber, so Buchbinder, rühren die unspezifischen Schmerzen zuhauf von Verspannungen aufgrund von zu wenig Bewegung und zu viel Sitzen (im Büro, in der Schule, vor dem Handy), des nicht optimalen Sitzens sowie aufgrund psychischer Belastungen (berufliche, finanzielle, private Sorgen, Ängste, Abhängigkeiten oder Belastungen im Sinne von Hektik und Stress). Ihr Fazit – und das ihrer Mitschreiber – ist daher ein dringender Appell: „Geldgeber sollten damit aufhören, die Kosten für ineffiziente und schädliche Tests und Behandlungen zu übernehmen, und ausschließlich für hochwertige Betreuung bezahlen.“

Hochwertig, das heißt: sich Zeit nehmen. Für den Betroffenen. Welche Beschwerden quälen ihn? Seit wann? Gibt es Befunde? Wie sieht es in seinem privaten und beruflichen Umfeld aus…? Eine Liste, die sich mit etlichen essentiellen Fragen ergänzen lässt und ergänzt werden sollte, um ein umfassendes Bild zu erhalten. Denn: Der Rücken hält den ganzen Menschen aufrecht. Schmerzt der Rücken, leidet der ganze Mensch. Es ist daher nur konsequent, den Menschen als Ganzes zu betrachten – und zur Besserung seiner Situation zu bewegen.   

Und da sind wir wieder bei der Bewegung. Ein Stichwort, dessen sich 2017 auch ein Team um Arbeitsmediziner Rahman Shiri aus Helsinki angenommen hat. Wie bei Hartvigsen und Co. glichen die Experten bei ihrer Arbeit andere Studien ab. Die Resultate: Personen, die sich sportlich betätigten (mindestens eine halbe bis ganze Stunde pro Woche) und zu Beginn der Tests keine Rückenschmerzen hatten, bekamen zu elf Prozent seltener chronische Kreuzschmerzen als Inaktive. Wurde die Intensität der Sportlichkeit betrachtet, ergab sich folgendes – signifikante (!) – Bild: Wer moderat aktiv war (sich also gemächlich bewegte), erlitt zu 14 Prozent seltener chronische Rückenschmerzen. Wer hoch aktiv war, um 16 Prozent seltener.

Ebenfalls 2017 haben sich die Forscher Chou, Deyo, Friedly, Skelly, Hashimoto und Weimer zusammengetan und 21 repräsentative Untersuchungen mit insgesamt mehr als 30.000 Teilnehmern anderer Universitäten und Institutionen analysiert. Auch das Therapiespektrum war entsprechen breit: Es beinhaltete sowohl Kräftigungs-, als auch Stabilisierungsübungen sowie Dehnungsübungen. Hinsichtlich der Trainingsdauer reichte das Angebot von 60-Minuten-Einheiten zweimal wöchentlich bis zum täglichen Fünf-Minuten-Training. Das Ergebnis: Ohne Bewegungstraining hatten 41 bis 57 von 100 Personen binnen eines Jahres erneut Schmerzen. Bei der Gruppe, die aktiv war, waren nur 27 bis 31 von 100 Personen  neuerlich „vom Rücken“ betroffen.

Erfreuliche Ergebnisse, die an das Eingangszitat erinnern: „Zu unserer Natur gehört die Bewegung.“ Anders gesagt: Bewegung kann bei unspezifischen Rückenschmerzen Abhilfe schaffen (wie in allen Lebensbereichen mit Maß und Ziel und professioneller Betreuung/Rücksprache). Ob ein Spaziergang, eine Wanderung/Klettertour, eine Radfahrt – erlaubt ist, was gefällt. So weist auch die Wiener Gebietskrankenkasse in ihrer Broschüre daraufhin, dass man, „sofern die Ärztin oder der Arzt gefährliche und ernste Ursachen ausgeschlossen hat, ein möglichst normales Leben führen“ sollte. Denn: „Gerade bei akuten Rückenschmerzen kann Schonung oder Bettruhe die Heilung verzögern. Wird jegliche Aktivität eingestellt und Belastung vermieden, wird die Muskulatur geschwächt. Körperliche Aktivität, wie Spazierengehen und Bewegung im Alltag, sind wichtig für die Genesung.“

Konkrete Tipps seitens der GKK gibt es überdies: Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, eine Station früher als üblich aus der Straßenbahn aussteigen und die letzten Meter zu Fuß, „am Wochenende hinaus in die Natur bzw.  bei Schlechtwetter auch einmal die öffentlichen Bäder besuchen“. Und es werden konkrete Sportarten als besonders hilfreich hervorgehoben, darunter das Walken, Wandern, Sportklettern (fördert die Ausdauer und verbessert Schultergürtel-, Rücken-, Bauch-, Gesäß- und Beinmuskulatur).  

Aber Achtung: Das alles sagt uns, dass die richtige Bewegung wahrscheinlich in den meisten Fällen positiv wirkt. Es bedeutet aber nicht – und darauf weisen auch die oben genannten Studienautoren hin –, dass Bewegung als Allheilmittel anzusehen ist. Die Rechnung, wer sportlich ist, bekommt nie Rückenschmerzen, geht leider nicht auf. Denn: Insbesondere sogenannte episodische Kreuzschmerzen, die bei gut einem Drittel der Bevölkerung binnen eines Jahres auftreten können, haben wenig mit (Nicht-)Aktivitäten zu tun – sondern ihre Gründe lägen häufig tiefer, nämlich im psychologischen Bereich. Womit wir wieder beim Menschen als Gesamtpaket wären.

DAS WICHTIGSTE ZUSAMMENGEFASST

Jeder Mensch ist anders – aber doch haben wir so einiges gemeinsam. Etwa, dass uns Bewegung gut tut. Denn: Dabei werden Muskeln aktiviert, es wird Ausdauer aufgebaut, der Kopf wird frei für Kreativität und Entspannung. Und der Körper in vielen Fällen wieder schmerzfrei(er). „Gerade bei akuten Rückenschmerzen kann Schonung oder Bettruhe die Heilung verzögern“, schreibt die Wiener Gebietskrankenkasse in einem Ratgeber. Und hält fest: „Körperliche Aktivität, wie Spazierengehen und Bewegung im Alltag, sind wichtig für die Genesung.“ Auch diverse Sportarten, wie Wandern, Klettern, Schwimmen, Rad fahren, Pilates und Co. können – nach professioneller Ab- und wiederkehrender Rücksprache – betrieben werden.

Mehr noch: „Millionen von Menschen auf der ganzen Welt erhalten die falsche Behandlung für Schmerzen am unteren Rücken“, schreibt Jan Hartvigsen von der dänischen Syddansk-Universität in der Studie „What low back pain is and why we need to pay attention“. Seine Kollegin, Rachelle Buchbinder von der Monash-Universität in Australien, ergänzt: „In der Mehrheit der Fälle helfen einfache physiologische Therapien, die die Menschen aktiv halten und ihnen das Arbeiten ermöglichen.“  Ähnliches ist in den 2017 veröffentlichten Arbeiten „Does leisure time physical activity protect against low back pain?“ und „Nonpharmacologic Therapies for Low Back Pain: A Systematic Review for an American College of Physicians Clinical Practice Guideline“ zu lesen. Demnach hat, wer moderat aktiv ist und bleibt, seltener (erneute) chronische Rückenschmerzen.

Aber Achtung: Bewegung und Sport sind kein Allheilmittel, wohl aber ein umfassendes Hilfsmittel. In den Worten von Buchbinder: „Geldgeber sollten damit aufhören, die Kosten für ineffiziente und schädliche Tests und Behandlungen zu übernehmen, und ausschließlich für hochwertige Betreuung bezahlen.“ Hochwertig, das heißt: sich Zeit nehmen. Welche Beschwerden quälen den Betroffenen? Seit wann? Gibt es Befunde? Wie sieht es im privaten und beruflichen Umfeld aus? Welche Veränderungen gibt/gab es? Welche Sorgen/Ängste? Denn: Der Rücken hält den ganzen Menschen aufrecht. Schmerzt der Rücken, leidet der ganze Mensch. Es ist daher nur konsequent, den Menschen als Ganzes zu betrachten – und zur Besserung seiner Lage zu bewegen.  




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LITERATURHINWEISE

>>> Studie in „The Lancet“, 2018:

https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)30480-X/fulltext

>>> Studienanalyse von Rahman Shiri, 2017:

https://bjsm.bmj.com/content/51/19/1410

>>> Studienüberblick von Chou, Deyo, Friedly, Skelly, Hashimoto und Weimer, 2017: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26752509

>>> Broschüre der Wiener Gebietskrankenkasse: https://www.wgkk.at/flipbook/Rueckenschmerzen/Rueckenschmerzen_opf_files/pdfs/Rueckenschmerzen__.pdf

kraftvolle Grüße

Dipl.Ing.(FH)

Stephan Eitler, MSc

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